Bemerkungen zur Architektur von
Roger Boltshauser

Notes on the Architecture of
Roger Boltshauser

Obwohl sich die Frage nach der Qualität angesichts der günstigen Rahmenbedingungen der Zürcher Architekturkultur kaum stellt, stechen die Gebäude von Roger Boltshauser auf eine kühne Weise als atypisch hervor. Das Oeuvre markiert sein Territorium und weicht den modischen Trends und Strömungen der zeitgenössischen deutschschweizer Architektur mühelos aus. Wie Peter Märkli, mit dem er Ende der 1990er-Jahre als Assistent an der ETH Zürich und später an der EPFL Lausanne lehrte, kann auch Roger Boltshauser offenbar nicht anders, als mit und in seiner Architektur seine persönlichen Faszinationen, Anliegen und Interessen zu erforschen. Mit seinem Werk bewertet er die zeitlosen Grundlagen von Architektur neu und hinterfragt den Kanon der Moderne insbesondere in Hinblick auf zeitgenössische Konstruktionen und Gestaltungsprinzipien. Der spezifische, sinnliche Charakter seiner Arbeit entspringt einem persönlichen Gefühl für Proportionen und Komposition. Oberflächen werden mit erfrischender Direktheit und Robustheit bearbeitet. Dabei ist Boltshauser ebenso Lehrer wie praktizierender Architekt. Es verwundert daher nicht, dass eine jüngere Generation von Studierenden an der ETH Zürich und den weiteren Architekturschulen, an denen er in den letzten Jahren unterrichtet hat, von seinem Verständnis von Architektur geprägt sind. 

EINE TEKTONISCHE BAUKULTUR
So zeugt das Ateliergebäude des Architekturbüros an der Dubsstrasse von der kontinuierlichen Recherche zu Fragen des Tragwerks, der Konstruktion und des Materials, die in jedes Projekt einfliesst. Das bestehende Gebäude entspricht der Zürcher Tradition, inmitten eines städtischen Blocks Werkstätten zu errichten. Das umgebaute Atelier aus Backstein und Beton verfügt über grosszügig bemessene Fensterelemente. Seine horizontalen Proportionen lassen es wuchtig und irgendwie archaisch erscheinen. Das Areal des Ateliers erstreckt sich vom Gebäude in den umliegenden Innenhof und erinnert an die städtebauliche Aufgabe, die die Architektur in einem solchen Kontext erfüllen sollte ‒ eine Konstellation, die zweifelsfrei anregt zur Reflexion und Diskussion über die Abhängigkeit von Architektur und ihrer urbanen Dimension. 

RASTER, ORDNUNG UND PROPORTIONEN
Die Reliefstudien, mit denen Roger Boltshauser als junger Architekt begann, stärkten sein Gefühl für Proportionen und in der Folge den kompositorischen Charakter seiner Fassaden. Im Allgemeinen sind die Elemente und Bauteile, die vom Büro produziert werden, in ihren Proportionen komprimiert und eher quadratisch als aufrecht. Der Einsatz von Glasbausteinen, Klinkern und Fliesen betont das Raster als ordnungsgebendes Element in den Grundrissen und an den Fassaden, wie es beim Projekt Schulanlage Hirzenbach oder im danebenliegenden Wohnhochhaus deutlich zu sehen ist ‒ zwei von vielen Projekten, in denen die kontinuierliche Beschäftigung mit diesen Themen nachvollziehbar ist. 

MASSE UND PERMANENZ
Sucht man in den Gebäuden von Roger Boltshauser ein gemeinsames, oft wiederkehrendes Merkmal, so ist dies die Beziehung zwischen Kubatur und einem Gespür für Masse. Sie vermitteln das Gefühl, dass die Energie, die in den Akt des Bauens geflossen ist, eine sehr lange Zeit anhalten wird. Die Projekte vermitteln eine Vorstellung von Beständig- und Langlebigkeit; beispielsweise das Schulhaus Kopfholz, das genossenschaftliche Wohnprojekt Lenzburg, der Schulpavillon Allenmoos II und das Haus Rauch. 

REFLEXIONEN ÜBER MIES
Einen Kontrapunkt bildet Roger Boltshausers Interpretation von Aspekten der Arbeiten Mies van der Rohes, insbesondere dessen späterer Projekte in Nordamerika. Bei einigen Bauten untersucht er einen anderen Ansatz für den Ausdruck einer Fassade, die Beziehung zwischen Tragwerk und Hülle, etwa beim Rathaus St. Gallen, dem Gebäudeensemble Baufeld F an der Europaallee in Zürich oder dem Bürogebäude Bleicherweg, ebenfalls in Zürich. In ihrer Fassadengestaltung zeigen alle drei Bauten «fragile» Hüllen und Verkleidungen, mit denen der Architekt subtil Kritik an den aktuellen Bedingungen des Bauens äussert.

EINE SOZIALE ARCHITEKTUR
Viele von Boltshausers Projekten haben ein öffentliches Programm: Schulen, ein Rathaus, Forschungslabors, ein Gebäude für einen Zoo. Daraus kann auf ein grundlegendes Interesse an der sozialen und städtebaulichen Verantwortung von Architektur geschlossen werden. Jedes einzelne Projekt vermeidet Ambivalenz in seiner Beziehung zum Ort. Boltshauser gibt sich nie mit der blossen Hinzufügung eines Volumens in dessen weiteres Umfeld zufrieden, sondern deutet dieses so um, dass das Projekt eine sinnvolle Bereicherung seines Kontextes ist und damit mit und nicht isoliert von ihm funktioniert. Dieses Bewusstsein in Kombination mit einem profunden Verständnis für ökologische Fragen in Entwurf und Konstruktion legt nahe, dass die Bauten Roger Boltshausers über das Notwendige hinaus einen Beitrag leisten. In der zeitgenössischen Architektur ist das eine bewundernswerte und notwendige Position.

Jonathan Sergison
Dezember 2020

Whilst the question of quality is almost a given in the favourable conditions of Zurich architectural culture, the buildings of Roger Boltshauser stand out as boldly atypical. The work marks its own territory, and effortlessly diverges from the fashionable trends and currents of contemporary Swiss German architecture. Like Peter Märkli, with whom he taught as studio assistant at ETH Zurich and EPFL Lausanne in the late 1990s, Bolthauser seems compelled to explore his own personal fascinations, themes and interests. His work reassesses the timeless fundaments of architecture and challenges the canon of modernism in terms of contemporary construction techniques and environmental principles. The specific, sensuous character of his work arises from a personal sense of proportion and composition. Material surfaces are manipulated with a directness and robustness that are refreshing. Ever a teacher as well as practitioner, Bolthauser’s influence is apparent on the younger generation of students passing through ETH Zurich and the schools he has taught at in recent years. 

TECTONIC BUILDING STRUCTURE
The practice’s studio in Dubstrasse bears witness to the tectonic and construction research that goes into every project. In this case the building conforms to the Zurich tradition of building work spaces in the middle of an urban block. The brick-and-concrete building has generously scaled window assemblies, whose horizontal proportions make it appear heavy and somewhat archaic. The territory of the studio extends from the building to the surrounding courtyard and offers a reminder of the urban task architecture is often required to fulfil – a setting no doubt conducive to reflection and discussions on the interconnection between the architectural and urban dimension. 

GRIDS, ORDER AND PROPORTION
The studies in relief that Roger Boltshauser began to produce as a young architect gave him a feeling for proportion and the compositional character of building facades. Generally, the elements of buildings produced by the practice are compressed in their proportions, and square rather than upright. The frequent use of glass blocks and tiles reinforces the use of grids as an ordering device in the plans and in the facades of buildings, as in the Hirzenbach school project or the residential building that sits alongside it, two of the many where this constant preoccupation is clearly visible. 

WEIGHT AND PERMANENCE
If there is a general, common character in the buildings of Roger Boltshauser, it is the relationship between massing and a sense of weight. We have the feeling that the energy that has gone into the act of building will last a very long time. Projects evoke a sense of permanence and longevity. This is particularly evident in the Kopfholz School project, the cooperative housing project in Lenzberg, the Allenmoos II School Pavilion and the Rauch House, amongst many others. 

REFLECTION ON MIES 
A counterpoint to weight and permanence is the interpretation of aspects of the work of Mies van der Rohe, particularly his later work in North America. A number of Boltshauser’s projects explore a different approach to the expression of a facade and the relation between frame and lightweight infill. This can be seen in the St. Gallen town hall project, the Baufeld F building ensemble on Europaallee in Zurich, or the Bleicherweg Office Building, also in Zurich. All explore more fragile skins or cladding solutions in their facade language, offering a subtle critique of contemporary construction conditions.

A SOCIAL ARCHITECTURE
Many of the practice’s projects are public in their programme: schools, a town hall, research laboratories, a building for a zoo. This reveals an underlying interest in the social and urban responsibility of architecture. Each and every project avoids ambivalence in its relationship to place and strives to be more than an autonomous addition to the wider surroundings, making a meaningful contribution that works with, rather than in isolation from its context. 

This awareness, together with the practice’s profound understanding of the environmental aspects of building design and construction methods means that the work of the practice always gives more than it takes. In contemporary architecture, this an admirable and necessary position.

Jonathan Sergison
Dezember 2020